“Biodiversity is the totality of all inherited variation in the life forms of Earth, of which we are one species. We study and save it to our great benefit. We ignore and degrade it to our great peril.”
Wilson, Edward O.

Verfassung für die Erde

Wir Menschen, jene außerordentlich erfolgreiche biologische Art des Planeten Erde, der es gelungen ist eine globale Kultur – die Zivilisation – zu formen, im Bewusstsein der Gefahr, die uns und allen anderen lebenden Systemen droht, hervorgerufen durch einen elementaren Umformungsprozess durch die Kultur, beschließen die vorliegende Verfassung für die Erde, die die nunmehr erkannten Werte, Ansprüche und Rechte unseres Heimatplaneten bestätigt.

Im Bewusstsein der Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen erklären wir die Erde zu einer formenden Aktivität, zu einer Subjektivität. Wir betrachten die natürliche Kreativität der Erde, die die Kultur und die Rechte und Freiheiten des Menschen überhaupt erst ermöglicht, als eine über der menschlichen Kreativität und den Menschenrechten stehende Entität. Die Notwendigkeit, die Erde als Lebensraum für weitere Generationen von Menschen und andere lebende Geschöpfe zu erhalten, erklären wir zum zentralen Rechtsprinzip der Menschheit im 21. Jahrhundert, bindend für die Verfassungen aller Staaten und für Rechtsakte zu den grundlegenden Menschenrechten und –freiheiten. Weder der Mensch, noch seine Kultur sind eigenständige Entitäten, sie sind abhängig von der Erde. Als relativ eigenständige Entität im Rahmen des Kosmos kann nur die Erde angesehen werden. Nur ihre gesamte Biosphäre ist das kleinste autonome System, das zu einer langfristigen Entwicklung in der Zeit fähig ist. Alle ihre natürlichen Subsysteme einschließlich der künstlichen, von Menschen geschaffenen Kultur, sind von kurzer Dauer und nicht autonom, sondern abhängig von einem gesunden und prosperierenden biotischen Ganzen.

Daher verpflichten wir uns die Erde vor der egoistischen Expansion der Raubtierkultur zu schützen. Ihren Wert, ihre Ansprüche und Rechte, die über dem Menschen und seiner Kultur stehen, wollen wir mit allen Mitteln durchsetzen. In Übereinstimmung mit dieser Verpflichtung erklären wir:

Kapitel 1

Die Erde

  1. Die Erde ist der natürliche Lebensraum aller ihrer voneinander abhängigen Lebensformen. Sie gehört weder dem Menschen, noch einer anderen biologischen Art. Der Mensch, der die Kultur erschaffen hat, darf die Erde weder zum Schaden seiner selbst, noch anderer lebender Wesen verwüsten.
  2. Die Erde ist für unsere Art und die menschliche Kultur das höchste Gut. Sie ist die älteste, die umfassendste und die mächtigste kreative Aktivität – eine einzigartige planetare Subjektivität. Wir müssen ihr Recht auf Evolution, auf den Erhalt des ihr eigenen Gleichgewichts zwischen lebenden und nichtlebenden Systemen wahren und schützen.
  3. Die Kultur darf sich nicht weiter ausbreiten, weder zu Lasten der natürlichen Vielfalt unseres Planeten, noch zu Lasten der menschlichen Gesundheit.
  4. Als dem Menschen und der künstlichen Kultur übergeordnetes System ist die Erde ein Souverän, dessen Verteidiger und Fürsprecher gewählte und kontrollierte Institutionen werden müssen.
  5. Wir verpflichten uns den Verlust, die Zerstörung und die Verschmutzung des natürlichen Lebensraums aufzuhalten, und zu diesem Zweck ein System von Verantwortlichkeiten einschließlich wirksamer und vorbeugender Sanktionen einzurichten.

Kapitel II

Der Mensch

  1. Der Mensch ist nicht die unmittelbare Ursache der derzeitigen ökologischen Krise. Die Ursache ist ein Systemkonflikt zwischen der künstlichen Kultur und der natürlichen Ordnung der Erde.
  2. Die Menschheit trägt nicht die Verantwortung für die Erde. Sie trägt Verantwortung für die Kultur, für ihr Werk, mit dem sie die Erde in zwei opponierende Systeme geteilt hat: die Kultur und die Natur. Die höchste Aufgabe des Rechts, der Politik und der Wissenschaft ist es, im Rahmen einer neu entstehenden biophilen Kultur, Natur und Kultur miteinander zu versöhnen.
  3. Die Subjektivität des Menschen als Art ist durch die übergeordnete Subjektivität der Erde begrenzt. Alle Personen und staatlichen Institutionen sind verpflichtet jene umfassendere Subjektivität zu respektieren, die Vielfalt und Ganzheit der Biosphäre zu schützen und nichtlebende Produkte der Erde schonend zu nutzen.
  4. Wir erklären, dass der Mensch nur mit der natürlichen Existenz, nicht mit der künstlichen Existenz der Kultur biologisch artverwandt ist. Wir erkennen an, dass das, was der Erde förderlich ist, auch dem Menschen Nutzen bringt.
  5. Die natürliche Ordnung der Erde ist von allen Rechtssystemen zu schützen und durchzusetzen.

Kapitel III

Die Kultur

  1. Die Kultur ist ein künstliches System mit einer eigenen inneren Information, der Kultur des Geistes. Die Veränderung von Orientierung und Inhalt der Kultur des Geistes – der Werte, des Wissens und der Regulative – ist Voraussetzung einer biophilen Transformation des Systems der Kultur.
  2. Als menschliches Produkt ist die Kultur weder die Fortsetzung der Evolution der Natur, noch der Prozess von deren Veredelung. Sie ist ein künstliches und vorübergehendes Konstrukt, das von der Natur stofflich, energetisch und informationell abhängig ist. Sie ist ein Gebilde, das der biologischen Struktur des Menschen nicht entspricht und die nach dem Untergang der Menschheit nicht erhalten bleibt.
  3. Das System der Kultur verdrängt und vernichtet durch sein Wachstum lebende Systeme, zerschlägt die natürlichen Strukturen der Erde. Wenn sich die Evolution des Systems Kultur fortsetzen soll, muss es den Pfad eines quantitativen Wachstums verlassen und nach dem Vorbild der Biosphäre den Weg eines qualitativen „Wachstums ohne Wachstum“ finden.
  4. Die Staaten, die direkt oder indirekt die Entwicklung eines raubkapitalistischen Unternehmertums und die uneingeschränkte Verbreitung von Technologien mit einem hohen Verbrauch an materiellen und energetischen Ressourcen gefördert haben, haben die Zerstörung der Natur begünstigt. Sie tragen daher die Hauptverantwortung für die heutige zivilisatorische Krise.
  5. Alle Staaten werden verpflichtet, Maßnahmen für ein langfristiges Nebeneinander der Kultur und der Erde zu ergreifen. Sie werden angehalten, eine Umwandlung des geistigen Raubparadigmas einzuleiten, biophile Gesetze zu verabschieden und Aufklärung über die Notwendigkeit der Versöhnung von Natur und Kultur zu betreiben.